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Noch einen Versuch wagen: Wie Blazer mich eines Besseren belehrten

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[4. August 2021]

Zweite Chancen sind was für B-Ware. Diese These stellte ich in meinen frühen Zwanzigern auf. Und in Sachen Beziehungen, Jobs und Zahnärzte bleibe ich auch in meinen Dreißigern dabei. Bei Blazern allerdings lag ich damit völlig falsch.

Mit 19 wagte ich meinen ersten richtigen Versuch. Die Blazer-Ausflüge vorher zählten nicht, da waren keine Schulterpolster mit im Spiel, die Taschen waren nur aufgenäht, von der Bauchnabellänge ganz zu schweigen. Mit 19 aber waren in meinem Besitz drei, die dem Begriff Blazer erstmals wirklich nahekamen: ein türkisfarbener mit goldenen Knöpfen in Übergröße, ein beigefarbener ohne eigene Willenskraft in Sachen Formstabilität und ein grauer – den hatten zu der Zeit eben alle.

Dass das letzte Modell nicht dafür sorgte, dass mich die Blazer-Manie überkam, erklärt sich von selbst. Und nachdem ich dem beigefarbenen der Schulterpolster beraubt hatte, zählte der quasi zu denen, die noch nicht zählten. Der türkisfarbene aber hatte Potenzial. Und trotzdem war es nur ein Gimmick, das ich anzog, wenn ich mich mit dem Rest meines Outfits langweilte.

Blazer und ich, ich war wieder überzeugt: Das passte irgendwie nicht. An manchen Tagen waren sie die übergroßen Silhouetten-Mörder, die mich um Taille und Hüfte brachten. An anderen Tagen sah ich nur Nadja Auermanns Beine als einzige Kombinationsmöglichkeit. Es war immer eine Frage der Proportionen – und ich hatte immer die falschen.

Somit griff mein modisch-kategorischer Imperativ: Die kastige Oberbekleidung, die nun stilsoziologisch die Brücke zwischen Picknick im Park und Gehaltsverhandlung schlagen sollte, wurde aus meinem Textil-Arsenal kompromisslos verbannt. Meine adoleszente Sturheit erwies sich dabei als wahnsinnig hilfreich.

Jahre vergingen, in denen ich mich in einer Welt ohne Blazer ziemlich gut aufgehoben fühlte. In Vintage-Läden zeigte ich ihnen die kalte Schulter, so sicher war ich mir, mich mit 19 richtig dagegen entschieden gehabt zu haben. Knapp zehn Jahre später aber fiel ich mir selbst in den Rücken.

Ein dunkelblau-champagner nadelgestreiftes Kostüm mit Knöpfen in Doppelreihe ließ mich einen zweiten Versuch wagen. Meine Arme tauchten ein ins seidige Futter der Ärmel, die Schulterpolster standen in gängiger 80er-Manier ab wie zwei riesige Engelsflügel – und ließen mich direkt emporsteigen: in den Blazer-Olymp. Ich fühlte mich wie Julia Roberts bei den Golden Globes 1992. Und zugleich wohl noch nie so wie ich selbst.

Seitdem sind Blazer für mich zu ersten Wahl geworden: in Orange mit gelbem Einstecktuch zum Eisessen (Pfirsich Melba!), in Grün mit roten Lippen zum Große-Reden-Schwingen und übergroß in Pink mit umso mehr Platz am Revers für riesige Seidenblumen. Ich bin froh, dass Thesen nur solange anzunehmen sind, bis sie falsifiziert werden. Und dass für mich nun immerhin Blazer eine zweite Chance verdient haben.

[Prenzlauer Berg, Sommer 2021]

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