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Stürmische Zeiten

Blog

[13. September 2021]

Der Herbst und ich, wir haben diese Art von Beziehung, die nicht gesund, nicht auf Augenhöhe und eigentlich – wir wissen es beide – auch ohne Zukunft ist. Da ist immer zu viel Anspruch. Und zu wenig Akzeptanz. Wir finden am besten in meinem Kopf statt: Dort sind wir ein tolles Paar. Ich in Leder und Kaschmir, Lagen-Look und goldenen Stiefeletten. In der Realität klebt mir Laub unterm Schuh und mein Schurwolle-Blazer wird den ganzen Tag lang vom Nieselregen nicht trocken, sondern nur schwerer. Der Herbst schreit mich quasi durch den Sturm an: Praktikabilität! Und ich fluche mit strähnigen Haaren zurück (bye-bye Curtain-Bangs, hallo Fadenvorhang). Geduld habe ich mit ihm nur die ersten zwei Stunden unter 22 Grad. Danach will er mir gefühlt ständig etwas beweisen: dass Gummistiefel eine gute Sache sein können, Regenjacken auch positive Seiten haben. Doch immer, wenn ich kurz davor bin, modisch nachzugeben, frage ich mich: Sollte ich mich für jemanden verbiegen? Was ist geworden mit: Wer mich liebt, der akzeptiert mich, wie ich bin? Und ich weiß: Ich bin nicht PVC-beschichtungsgeeignet. Wenn wir zusammen also nur funktionieren können, indem ich nachgebe und Regenfestes trage, was für eine Chance haben wir dann überhaupt?

[Berlin, Herbst 2020]

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