[17. Mai 2022]
Bei Wintermänteln bin ich monogam. Meine Beziehung zur Oberbekleidung der kalten Jahreszeit ist vielleicht nicht lebenslang, aber definitiv exklusiv. Da steckt ja auch Arbeit drin: nächtelanges Klicken durch 783 Vinted-Seiten – zweimal das Ganze, um wirklich sicherzugehen, kein Modell übersehen zu haben. Die Filter-Optionen erst ausgereizt, um dann doch nochmal alles komplett durchzuschauen. Daraus entsteht nicht nur ein Flirt, das ist das textile Versprechen: Bis dass der (Trend-)Tod uns scheidet!
Trotzdem kann ich sie verstehen, die polygamen Mantelträger: Wie unbeschwert muss es sein, zu jeder Laune einen neuen ausprobieren zu können. Keine Lust auf Wollfilz? – Nylon, danke! Genervt vom Teddyplüsch? – Lammfell, Baby. Da bedarf es keiner Verbindlichkeit beim Kauf. Lustgesteuert nimmt man den nächstbesten mit nach Hause, immer im Hinterkopf: Es gibt ja noch andere.
Doch bei so viel Auswahl kann einem keiner so richtig ans Herz wachsen. Und wie viele schlaflos durchklickte Nächte kann man sich auch schon leisten? Also werden Kompromisse eingegangen, Abstriche gemacht und es wird modisch down-gedatet. Fehlende Kompatibilität ist der Preis abwechslungsreicher Mode-Abenteuer.
Vielleicht bin ich streetstyle-konservativ. Vielleicht entgehen mir aufregende Outerwear-Outfits fürs bipolare Berliner Winterwetter. Doch mit dem einen Mantel durch die schlimmste Jahreszeit zu gehen, an ihm die ganze Woche lang die vietnamesische Pho von Montagabend zu riechen und den Zigarettenmief der Eckkneipe auch nach dreimaligem Lüften nicht loszuwerden, das Wunderkerzen-Brandloch mit einer Brosche kaschiert zu wissen und ihn bei Starkregentagen nie wirklich trocken zu bekommen, weil man dann ja schon wieder in den Monsun ziehen muss – das verbindet.
Wenn dann die Temperaturen über 10 Grad klettern und er frisch gereinigt (und endlich trocken!) bis zum nächsten Winter verstaut wird, dann denke ich gern an diese Monate zurück. Ich bin stolz auf uns, dass wir der Witterung trotzten – ob mit Wollpulli oder Paillettenkleid drunter. Und irgendwie kann ich es dann für einen kurzen Moment lang kaum erwarten, dass es wieder grau und nass und kalt wird. Denn ich weiß, ich habe ihn, den einen, mit dem selbst der Winter ausgehwürdig wird.