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Der Camel Coat ist tot, lang lebe … jeder andere Mantel!

Blog

[7. Dezember 2020]

Weder Dschingis Khan noch britische Polospieler sind in meiner Pinterest-Stilikonenliste zu finden. Was zum einen daran liegt, dass ich mich eher weniger mit analphabetischen Völkermördern identifiziere. Zum anderen aber – und das ist der entscheidende Punkt – habe ich mich einfach nie in einem Camel Coat gesehen.

Dem Großkhan der Mongolen aber gestalteten sich damit die Gobi’schen Temperaturen von -40 bis 35 Grad äußerst angenehm. Das Trampeltierhaar in Kombination mit Seide akklimatisiert nämlich tadellos. Sieben Jahrhunderte später klauten die Briten den Look und machten den Camel Coat für ihre Hockeyspieler zu Pferd zur Pausenkluft. Denn auch die wollten weder auskühlen noch überhitzen. Und weil man den Briten den Chic ja per se zuspricht, ist der Rest der Camel-Coat-Vita Geschichte. 1981 unterstrichen das die Italiener, indem Max Mara das Kamelhaar endgültig zum Kleinen Schwarzen unter den Mänteln machte.

Und so wählte sich der Camel Coat quasi alle Jahre wieder selbst zum König aller Mäntel – weil er ja irgendwie schon immer da war. Doch diese sicheren Nummern in der Mode haben einen faden Beigeschmack: Sie stehen jedem und passen zu nichts. Ihre Mühelosigkeit macht sie zu starren Kostümen. Sie sind egozentrische Designs, unfähig sich zu homogenisieren. Die einzige Kombinationsmöglichkeit ist der Stilbruch – hart und entschieden. Und damit meine ich neonfarbene Pailletten zu algengrüner Yakwolle, Lackrock zu ausgetretenen Converse. Der Camel Coat will die Stirn geboten bekommen, ansonsten verschluckt er alles, was ihm modisch lahmend in die Quere kommt.

So viel Erhabenheit in meinem Kleiderschrank finde ich anstrengend. Ich mag die Gleichberechtigung unter meinen Mänteln und den Teilen, die darunter kommen. Darum bin ich auch froh, dass die Laufsteg-Herrschaft des Camel Coat in diesem Winter pausiert – und hoffe, dass diese modische Erbmonarchie nun ihr Ende findet.

[Moskau, Winter 2019/20]

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