[12. November 2020]
Der Sonnenuntergang kämpft gerade seinen postkartenidyllischen Tod am Meereshorizont. Meine Augen ringen währenddessen um ihre Sehfähigkeit: Ein brennendes Gemisch aus mattierender Sonnencreme, Aloe-vera-Gel und Salzwasser wird vom Bootfahrtwind in die äußeren Augenwinkel gepeitscht. Dort kristallisiert es und sorgt für ein zusätzlich unangenehmes Gefühl von verkrusteter Trockenheit in meinen Lachfalten.
Vielleicht ist es auch eine emotionale Reaktion meiner Augen, die noch nicht an mein Gehirn weitergegeben wurde. Zu windig? Zu schauklig? Zu viele Dosen Mythos? Denn als Captain Yannis gemeinsam mit Cat Stevens aus den Lautsprechern in die Meeresbrise der kleinen Kykladen von der wilden Welt singt, will ich das kitschig finden. Captain Yannis hat ja aber recht. Für ihn sind es manchmal die hohen Wellen, die ihm die Welt vor den Bug bläst. Für mich sind es bereits Wellen wie an diesem Tag, die mich panisch an die Stahlseile des Sonnendachs klammern lassen, wenn das Wasser in rhythmischen Abständen die Hälfte des Decks flutet.
Captain Yannis sitzt selig lächelnd auf dem kleinen Treppchen vorm Bootsheck – drei Armlängen vom Steuer entfernt: »I love days like this. It’s so calm. I wish everyday could be like this.«
Nachdem mein Gleichgewichtssinn die Idee eines steten Horizonts über Bord geworfen hat, kann ich ihm folgen. »These waves are nothing, believe me.« Wir wachsen also tatsächlich mit unseren Aufgaben. In einer Welt, die so bizarr, so wild ist, bleibt uns gar nichts anderes übrig.
