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Ende gut, alles gut

Blog

[2. Mai 2020]

Machen Momente die Dinge oder Dinge den Moment? Vielleicht ja beides. »Reziprok« hätte meine Mathelehrerin es dann genannt – und ich endlich verstanden, was sie damit meinte. Wenn Karl Lagerfeld also der Jogginghose die Bedeutung von Kontrollverlust attestierte, werde ich mit Klunkern am Schreibtisch zur Zoom-Königin?

Dabei mag ich all den Tinnef gar nicht wegen seiner Werte. Ist ja auch nicht so, als wäre damit viel zu erwerben. Vielmehr ist es der Wert, den der Tinnef mir verleiht. Und wenn ich morgens im seidenen Cerruti-Bademantel mit Lammfell-Slippers meinen Avocado-Bananen-Smoothie aus dem üppigen Rotweinglas durch den Strohhalm ziehe, ist es egal, ob der Tag eine geldversprechende Deadline hat oder ich von der Rechnung des letzten Projektes zehre: »Qu’ils mangent de la brioche!« ist in etwa das, was sich dann emotional irgendwo auf dem Weg von meinen Stimmbändern zur Zunge formiert.

Lynn Grabhorn wäre sehr stolz auf mich. Ihrem Gesetz der Anziehung zufolge würde ich ein reiches Leben in Saus und Braus genießen – allerdings auch unter dem Fallbeil enden. Sofia Coppola hatte diesen Teil ausgelassen. Anscheinend gab es weder ausreichend Geschmeide noch Cupcakes, die die kopflose Szenerie hätten cineastisch werden lassen können. Am Ende muss es vielleicht doch einfach gut sein, damit alles gut ist – Cerruti-Seide hin oder her.

[Berlin, Frühjahr 2020]

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