Wie die Frisur eines Mannes seinen Charakter macht
Die schwarze Tolle war sein Markenzeichen. Wenn Elvis Presley auf die Bühne ging, saß nicht nur jeder Akkord, jede Oktave – sondern auch die penibel gegelte und doch so lebendig schwingende Locke in seiner Stirn. Mit drei verschiedenen Pomaden widmete sich der King of Rock’n’Roll in perfektionistischer Feinarbeit einer Frisur, die mit dem wachsenden Erfolg seines Trägers zum großen Symbol der Rockabilly-Ära wurde. Seit den 50ern unzählige Male kopiert und weiterentwickelt, verkörpert der Pompadour, der seinen Namen ursprünglich der Mätresse Ludwig XV. verdankt, noch bis heute das Empfinden von Freiheit und Rebellion. Mit ihm kreierte Elvis nicht nur eine Trend-Frisur, sondern zeigte ein ganzes Lebensgefühl.
Als am 18. Oktober 2009 ein Büschel seiner Haare in Chicago einen neuen Besitzer suchte, war Elvis Presley bereits 32 Jahre tot. Für 12.300 Euro gingen, neben Stofftaschentücher und Hochzeitsfotos, die spröden Hornfäden dann über den Auktionstisch – gerechtfertigt mit der Hysterie um die Kultfigur, mit der Manie seiner Fans. Doch auch begründet im Versteigerungsobjekt selbst: dem Haar; das jemanden so unverkennbar machte und eine ganze Stil-Kultur für sich einnahm.
Haare, das vielleicht beliebteste Accessoire des menschlichen Körpers, immerhin wandelbar wie kein anderes, blicken auf eine bemerkenswerte Geschichte zurück. Wobei es die Frauen eher simpel hielten: Langes, volles Haar zieht sich wie ein roter Faden durch die wechselnden Ideale weiblicher Schönheit; mit leichten Ausschweifungen was die Farbe anbelangt – mehr aber auch nicht. Zwischenzeitlich schnitt sich zwar die ein oder andere die Haare kurz, um der Gesellschaft den modischen Mittelfinger zu zeigen, aber auch das betont nur die Einfältigkeit ihrer bislang erprobten Möglichkeiten.
Viel spannender hingegen: das Männerhaar. Ein Pool an Variationen, der im Verlauf zahlreicher Trend-Diktaturen und zeitweiliger Rollenbilder immer größer wurde. Ob Protagonisten biblischer Erzählungen, Mode-Ikonen oder Film-Charaktere – die Frisuren männlicher Hauptakteure einzelner Epochen sind so unterschiedlich und stilprägend, dass sie als eigenständige Persönlichkeitsmerkmale Beachtung finden. Wie Elvis’ Locke, die für das Zeitgefühl des Rock’n’Roll, die Rebellion gegen die Eltern und nicht zuletzt für den berühmten Künstler selbst steht, der mit seinen hüftlastigen Tanzeinlagen als einer der Ersten einen Stab an kreischenden Groupies auf seinen Konzerten zu verzeichnen hatte.
Auch Cary Grant verhalf der Haarschnitt zu Großem:Ab den 30er Jahren verführte er Stil-Ikonen wie Marilyn Monroe, Grace Kelly oder Audrey Hepburn auf der Leinwand – zu verdanken hat er das womöglich seinem Charme, vielleicht auch dem Grübchen an seinem Kinn, mit Sicherheit aber auch der nonchalanten Art, einen Smoking zu tragen. Doch was wirklich blieb, ist die Frisur. Denn noch heute steht der sorgfältig gezogene Seitenscheitel für männliche Eleganz und Klasse – eine Gentleman-Frisur, die immer wieder aufgegriffen und, wenn nötig, in einen zeitgemäßen Kontext gesetzt wird. So machte sich eine Neuinterpretation beispielsweise auf dem Kopf von George Clooney einen Namen: Mit dem Scheitel auf der anderen Seite und weniger streng zurückgelegt, adaptiert der Neuzeit- Kavalier den konventionellen Gentleman Look und mit ihm nicht nur die Erinnerung an Grant, sondern vor allem die Attribute, die dabei mitschwingen.
Doch auch mit weniger Haar lassen sich Charakter und Stilgefühl deutlich machen. Bekannte Filmglatzen wie Telly Savalas, der als Theo Kojak in der gleichnamigen Fernsehserie dem Zynismus ein neues Gesicht gab, oder Yul Brynner, der als heroischer Protagonist des Kultwesterns „Die glorreichen Sieben“ internationale Bekanntheit erlangte, brachten der polierten Platte ein prägnantes Image. Abgeklärt, rabiat und aufregend – der Anti-Held trägt Glatze. So auch Ving Rhames, der als Marsellus Wallace in „Pulp Fiction“ einen miesen Gangsterboss mimt.
Aber auch biblische Erzählungen bedienen sich der symbolischen Bedeutungen von Haar. Die bekannteste und zugleich traurigste Haargeschichte ist wohl jene von Samson und Delilah, die nicht nur mit einem gebrochenen Herzen endet, sondern vor allem damit, dass Samson seine Locken lässt. Als Richter des Alten Israels hatte er vor, sein unterdrücktes Vaterland von den Philistern zu befreien. Ahnungslos, dass die reizende Delilah Spitzel des philistinischen Königs war, verriet ihr Samson das Geheimnis um seine Unbesiegbarkeit: Die Haare müssten ein Leben lang wachsen. Das Mysterium um Samsons unbezwingbare Kraft enthüllt, greift Delilah zur Schere – und entledigt ihn seiner gottgegebenen Potenz. Es ist also nicht immer allein Schnitt, Struktur oder Länge des Haares, die einer Frisur eine persönliche Eigenschaft gibt, sondern selbst der Fall von ein paar gewellten Strähnen findet seine semiotische Besetzung.
In einer eher Kurzhaar-affinen Zeit ist die Bandbreite an Möglichkeiten, seine Persönlichkeit mit einem Haarschnitt auszudrücken, groß. Dabei wird an Altbewährtem festgehalten und aus nischigen Subkulturen neu geschöpft – immer mit dem Ziel, etwas noch nie Dagewesenes zu kreieren. Während Frauen sich erst einmal nur der Längen-Frage stellen – provokant oder konservativ –, haben Männer zahlreiche Auslegungen allein für den Begriff „kurz“. Und auch wenn weibliche Frisuren durch variierende Drapierungen augenscheinlich ein nahezu endloses Repertoire an Haarkunstwerken bieten, sind es doch die auffälligen Bedeutungs Cluster des gestylten Männerhaares, die so bedeutsam und vielsagend sind; weil zurückgeschaut und interpretiert, weil so kunstvoll zitiert wird – weil selbst, wenn Mann etwas für seinen Stil-Code ganz Übliches tut (sie kürzer schneidet, lockig lässt und gar rasiert), er eine ganz andere Geschichte mit ihnen erzählt.