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Sheila Wolf: „Bauch rein, Hintern raus und Brustwarzen gegen den Wind“

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Als Berlins Rockabella-Dragqueen ist sie aus der schillernden Party-Welt der deutschen Bundeshauptstadt nicht mehr wegzudenken: Die 40- jährige Sheila Wolf macht ihr Hobby zum Wochenend- Job und genießt das Leben als Glamour-Girl. Immer an ihrer Seite: Wegbereiterinnen und Mädelsrunde Zoe Delay, Janka Kroft, Nina Queer und Stella deStroy. Gemeinsam genießen sie Blitzlichtgewitter, VIP-Lounges der bunten Clubszene und das typische Nachtleben fünf extrovertierter T-Girls, die im Berliner Großstadtglimmer gewachsen sind.

Sheila ist eitel. „Ick brauch schon meine zwei Stunden im Bad. Schminken, abschminken, neu schminken“ – das dauert! Als Entschuldigung für ihr chronisches Zuspätkommen ist die Überlänge im Badezimmer jedoch bestens geeignet: „Zoe und die anderen nehmen mir das aber nicht mehr übel.“ So ist das, wenn man die gleichen Laster teilt.

Als selbsternanntes Pin-up, New-Burlesque-Vertreterin, Rockabella und Dragqueen ist Sheila ein Multitalent, das auf dem rutschigen Pflaster Berlins Fuß fassen konnte und seit drei Jahren zur Highsociety der aufstrebenden Nachtgesichter zählt. Immer wieder zieht es das Fünfergespann ins Blitzlichtgewitter.

Fräulein Wolf liebt den Stil der 50er Jahre – und das nicht nur wegen der damaligen Frauenbewegung. „Solange ick denken kann treibt mich der Rock’n’Roll durch die Welt. Wahrscheinlich schon im Bauch meiner Mutter wurde mir der Sound von Elvis und Co. ins Blut geimpft.“ Da lag die Entscheidung zum allumfassenden Genre nicht weit: Queer’lesque – die Verbindung der subtilen Erotik des Burlesques und einer Vorzeige-Dragqueen sowie Freundin Nina Queer. „Nina ist unser Prototyp! Schon bemerkenswert, wie sie unser Ansehen in der Gesellschaft beeinflusst hat. Eine Alice Schwarzer für Transen eben.“

Doch nicht nur die Musik der damaligen Zeit lässt ihr Herz höher schlagen. Als Stammkundin beim Berliner Pin-up-Modelabel Pony Maedchen hat sie sämtliche Uniformkleider, Kopfbedeckungen und extravagante Beinbekleidung im Repertoire. Auch ihre Haare dreht sie nur zu gern stundenlang zu einer zeitgemäßen Bettie-Page-Frisur zusammen: „Wenn ick die so hochgesteckt hab, fällt der unnatürliche Glanz gar nicht mehr so auf.“

Die Acryl-Perücke und der tiefe Bass in ihrer Stimme sind nur einige Merkmale, die Sheila von einer „ganz normalen Durchschnittsfrau“ unterscheiden. Mit 1,87m Körpergröße ist sie auch ohne High- Heels schon mindestens einen Kopf größer als ihre weiblichen Artgenossinnen. Aber das stört Sheila keineswegs: „Schließlich bin ick ja och keene richtige Frau.“ Doch um ihre Wirkung auf das – in dem Fall – gleiche Geschlecht ist sie sich bewusst: „Heten und Schwule machen mich gleichermaßen schlecht an.“ Sheila steht nämlich so ganz und gar nicht auf Männer. Sie steht auf Frauen, das weiß sie. Doch selbst für die hat sie kein Auge. Denn inkognito hat Sheila Familie und übt einen „typisch männlichen“ Beruf aus – von dem ihre Internetpräsenz stets profitiert. Doch das Leben abseits von Rampenlicht und Maskerade findet sie eher weniger spannend: „Ick brauch diesen Trubel wie die Luft zum Atmen.“

Naht nach einer Woche Leben in Echtzeit das Wochenende, weiß das Berliner Szene-Girl bereits drei Wochen im Voraus ihre Planung für jeden einzelnen Abend: „Vier, fünf Stationen an einem Abend sind gar nichts!“ Und als Credo gilt: Je später der Abend, desto interessanter die Leute. Aus diesem Grund beginnt ein klassischer Mädelsabend auch erst nach Mitternacht. „Meistens hol ick die anderen ab und wir fahren dann gemeinsam die Stationen ab.“ Standard-Stopp auf ihrem Streifzug durch die bunte Clubwelt ist an jedem dritten Samstag im Monat die Irrenhouse-Party. Schließlich wird die von Busenfreundin Nina veranstaltet und bietet eine Plattform schrillster Nachtgestalten; aber sie ist auch Anlaufstelle internationaler Berlinbesucher. So feierten die Mädels bereits mit Justin Timberlake bis in die frühen Morgenstunden.

Von Friedrichshain aus geht es dann ins White Trash nach Prenzlberg. Dort stößt man auf alte Bekannte wie Thomas Hermanns oder wird auch mal von Bruce Willis auf einen Cocktail eingeladen. „Wenn wir Neulinge einführen, sind die immer total überfordert mit all den Promis. Dann heißt es nur noch: Oh mein Gott, hast du den gesehen? Ist das etwa? Gib die Kamera her! Aber nach einer Weile gewöhnen sich auch die an die Gesichter.“ Es ist kaum zu glauben, wie viel Aufmerksamkeit die fünf Vorzeige-Dragqueens über die Jahre hinweg ergattern konnten. Mit ihrer Omnipräsenz im Berliner Nachtleben gehören sie zu den alten Hasen der Partyszene. Die Türsteher werden mit Küsschen begrüßt und angestanden wird erst recht nicht. „Wir kennen ja fast alle. Da ist es keen Problem an der Schlange vorbeigelotst zu werden.“

Und wie endet dann so ein typisches Nachtgelage? „Meistens gegen sechs Uhr früh. Ick fahr die Mädels dann nach Hause und dann geht’s ab zu mir“ – vorbildlich! Die Gruppendynamik der Frauenrunde ist in der Tat bemerkenswert. Obwohl sie ja alle schon „große Mädchen“ sind, wie Sheila selbst sagt, passen sie aufeinander auf. „Es gibt immer noch genug Kranke da draußen, die weder mit unserer Art noch mit unserem Auftreten umgehen können.“ So passiert es auch noch im Jahr 2009, dass Leute beleidigend oder sogar handgreiflich werden. „Erst neulich hat ein älterer Herr vor unseren Füßen ausgespuckt – und das bei unseren grandios lackierten Fußnägeln!“ Aus diesem Grund wird kein Gruppenmitglied allein gelassen. Man kommt zusammen und geht zusammen.

Aber wie geht man mit so einer Situation um? In Zeiten des Christopher- Street-Days sollte man meinen, dass die Bevölkerung an Toleranz gewonnen hat. Doch die Vorkommnisse sprechen eine andere Sprache. „Natürlich ist es immer wieder nervig, wenn so etwas passiert, aber das hindert uns nicht am Flagge zeigen“ – zeigen, dass es sie gibt und vor allem zeigen, dass sie in der Gesellschaft angekommen sind. Auch wenn der Kampf um die Akzeptanz noch nicht ausgestanden ist, sehen Sheila und ihre Dragqueen-Freundinnen keinen Grund sich zu verstecken: „Bauch rein, Hintern raus und Brustwarzen gegen den Wind – dann klappt das schon!“

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