Nach vier Jahren musikalischer Auszeit meldet sich das Berliner Elektro-Pop-Quartett MIA mit einschlägigem Sound zurück: Ihre Single »Fallschirm« feiert Videopremiere und wir trafen die vier Bandmitglieder bereits im Vorfeld, um mit ihnen über sinnliches Farbgemenge und rote Skioveralls im Sommer zu sprechen.
Euer neues Album trägt den Namen »Tacheles«. Eine Ansage?
Mieze: Gerade in der Zeit, als wir einen Albumnamen gesucht haben, schlug unser Fotograf vor, uns im »Tacheles« in Berlin zu fotografieren. Als das Wort fiel, war Stille im Raum. Da passierte plötzlich etwas. Es war sofort klar, das ist unser Deckel!
Den ersten Vorgeschmack konnten wir ja bereits hören: Eure Single »Fallschirm« klingt gewohnt elektronisch poppig mit philosophischer Intention. Wer schreibt bei Euch die Texte?
Gunnar: Mieze schreibt die Texte, ist aber jemand, der immerzu Feedback hören möchte: »Was denkt ihr? Ist das auch eure Sprache?« Beim Schreiben dieser Platte haben wir es zum ersten Mal ausprobiert, wie das ist, wenn wir zu dritt bei null anfangen. Es hat ganz gut funktioniert. Dieses Album ist unser gemeinsamstes Album.
Mieze: Ich würde auch sagen, dass wir noch nie so hartnäckig waren, so intensiv gearbeitet haben, die perfekte Tonlage gesucht haben, die Songs so oft transponiert haben, bis wir bei jedem Lied im Zentrum waren. Da gab es kein Wischiwaschi. Jedes Wort wurde nochmal überprüft. Ich hoffe es klingt nicht zu hart und faktisch. Am Ende ist es Musik und Kunst und daher nicht immer mit dem Verstand zu begreifen. Das Herz muss greifen und MIA ist, wenn vier Herzen greifen.
Das klingt nach einer anstrengenden kreativen Phase. Gab es bei all der Hartnäckigkeit auch Momente, in denen Ihr gedacht habt, das klappe alles nicht?
Gunnar: Es gab dieses Mal nicht die Möglichkeit zu sagen: »Naja, das ist dein Song, also entscheide du das.« Diese Schlacht musste zu Ende gefochten werden. Bei »Fallschirm« gab es zum Beispiel so einen Moment. Der Song sollte immer wieder anders sein. Da hat man irgendwann schon auch mal die Schnauze voll. Mir ist natürlich nicht egal, wie toll andere Leute die Platte finden. Aber wenn ich in der Retrospektive für mich sagen kann, dass ich selber fast zu 100 Prozent Spaß bei der Sache hatte, dann ist es genau das, was ich machen will.
Andy: Wir konnten diesmal sogar einen Schritt weitergehen. In dem Zusammenhang war auch die Pause sehr interessant. Man hat angefangen, sich zu fragen: Ist man jetzt Musiker oder jemand der Musik macht, Künstler oder musikalischer Dienstleister? Früher haben wir bei der Musik oft Kompromisse gemacht. Durch unsere jahrelange Freundschaft wissen wir heute, dass wir uns menschlich auf sicherem Boden bewegen und konnten so tiefer in die Materie vordringen. Dem anderen auch mal sagen, dass man etwas anders machen würde. Wir haben uns alle in jedem Song verwirklicht und das nicht innerhalb des Albums aufgeteilt.
Andy, Du hast gerade die Pause angesprochen. Warum hat man von MIA so lange nichts gehört? Was war los?
Mieze: Robert hat mal etwas total Schlaues zu der Pause gesagt: »Eine Pause gehört zu einem erfolgreichen Musiker dazu.« Diese Pause haben wir erspielt. Es ist nicht einfach, in dieser Auszeit zu sagen: »Wir machen mal was anderes.« Dann kommt immer sofort die Frage: »Was macht ihr denn?« Das kann man sich manchmal selbst kaum beantworten. Ich hätte auch ohne Pause gekonnt, das fünfte, sechste und siebte Album gemacht, aber im Grunde genommen haben wir uns so vor einem Zusammenbruch bewahrt. Es war genau der richtige Moment für eine Zäsur, um etwas anderes zu sein als ein funktionierendes Bandmitglied. Jeder von uns hat Erfahrungen gesammelt, die uns zu anderen Menschen gemacht hat.
Gab es in dieser Pause auch eine gegenseitige Auszeit?
Mieze: Eher nicht. Wir verbringen ja sowieso nicht normal Zeit miteinander. Wir sehen uns öfter, als wir jeden anderen Menschen in unserem Leben sehen. Unter Umständen war es aber so, dass zwei Monate vergangen sind und ich mich gefragt habe: »Hab ich überhaupt mit Andy gesprochen?« Aber das Wiedersehen war ohnehin immer im Hinterkopf, mal zum Risotto-Essen oder Bahnfahren, da gab’s viele Möglichkeiten.
Und wie sah es mit exzessivem Shoppen aus? Oder setzt ihr eher auf die zeitsparende Online-Version?
Robert: Also ich hab schon einige Pakete von Zalando entgegengenommen …
Mieze: … aber nicht für dich!
Robert: Für die Frauen natürlich. Wenn man weiß, was man sucht, und das haben meine Freundinnen extrem gut raus, dann ist Online-Shopping richtig super. Ich weiß meistens gar nicht, was ich brauche. Da brauche ich einfach die Inspiration des Ladens.
Nach diesem eher farbenstillen Winter wird der Sommer ja richtig knallig. Ein bisschen wie Eure bisherigen Videos. Demnach steht Ihr auf diesen Trend?
Gunnar: Also Robert und ich haben gerne mal bunte Socken an, Andy sowieso.
Robert: Aber das ist neu bei mir! Ich habe auch auf einmal lauter bunte Hosen im Schrank.
Die Farbschlacht in dem Musikvideo zu »Fallschirm« war auch ziemlich bunt. Wie war das?
Mieze: Total spaßig! Ihr müsst euch vorstellen, da waren ungefähr 20 Männer am Set, ich räkle mich in der Farbe und denke mir nur: »Gott, ist das peinlich!« Das Schlimme ist ja, dass wenn man so denkt, man das auch sieht. Da dachten alle: »Die muss mal locker werden.« Nach 20 Minuten war mir dann überhaupt nichts mehr peinlich. Dann hieß es nur noch: »Oh, jetzt geht’s aber ab!« Alles war plötzlich so sinnlich mit der Farbe auf der Haut. Ich hab mich so wohl gefühlt, das war einfach mein Ding. Also da habe ich einen Fetisch entdeckt. Ich finde, jeder Mensch braucht mindestens einen Fetisch!
Es gibt also privat auch viel Farbe?
Mieze: Ich habe da so meine Phasen. Es geht immer darum, in dem Moment das zu tragen, was dein Innerstes widerspiegelt. Ich bin so oft mit den Jungs zusammen, da habe ich auch Jungsphasen. Dann trage ich meine Jeans und mein Jeanshemd, blaue Sneakers, eine große Pudelmütze und bin sehr praktisch unterwegs. Umgekehrt will ich manchmal unbedingt Frau sein. Ich habe viele Facetten und für jede gibt es ein Kleidungsstück. Oft braucht man einfach nur eine Hose und ein T-Shirt. Aber natürlich ist die Bühne für mich der Traum, mich dort auszuleben.
Was sagen die Jungs dazu: Reden die bei Deinen Bühnen-Outfits auch mit?
Mieze: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn die Jungs sagen: »Oh nein, oh Gott, bist du dir sicher?«, alles richtig ist. Die Jungs sind etwas zurückhaltender und ich umso mutiger und experimentierfreudiger. Zu einer Performance habe ich mal einen roten Skioverall getragen. Die Jungs dachten schon: »Gott, jetzt holt die dieses Teil wieder raus!« Aber ich war mir einfach sicher. Ich habe den Auftritt natürlich später gesehen und muss sagen: Das war schon grenzwertig. Das Rot war so stark, dass der Bildschirm flimmerte. Absolute Knallfarbe!
Passend zu den kommenden Sommermonaten – zumindest farblich!