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Wiederholungstäter: Warum Lieblingsschuhe nicht immer die beste Wahl sind

Blog

[13. November 2023]

Unser Gehirn ist wie ein Trampelpfad: Den Weg, den wir gedanklich schon mal gegangen sind, nehmen wir beim nächsten Mal wieder. Selbst wenn es nicht der logischste ist. Bei dieser Annahme sind sich Neurowissenschaftler ziemlich sicher. Weil unser Gehirn energieeffizient ist. Oder faul. Da sind sich Neurowissenschaftler noch nicht so sicher.

Darum ist es fatal, wenn wir etwas erst falsch lernen, um es anschließend richtig zu lernen – das fällt uns viel schwerer, als es uns gleich korrekt anzugewöhnen. Da gibt’s kein „das ist so wie“ unter den Synapsen, sondern nur die Frage: Wie habe ich das beim letzten Mal gemacht? Nun ja, falsch eben. Das Gute aber: dass wir überhaupt lernen können. Da sind sich Neurowissenschaftler sogar einig.

Wie bei Lieblingsschuhen: Einmal die Erfahrung gemacht, dass die glitzernden Slingpumps das Outfit aufwerten, stellen sie den Rest der Schuhsammlung in den Schatten. Ganz gleich ob die gelben Blockabsätze der Satin-Sandaletten genauso laufbar sind und zum grünen Wollrock viel besser passen. Der erneute Griff zu den Pumps scheint unumgänglich. Ist er ja auch, zumindest für die Mode-Neuronen.

Dasselbe gilt übrigens für Jogginghosen – als Karl Lagerfeld den Trägern einen Kontrollverlust übers eigene Leben attestierte, brachte er es auf den Punkt: Wir verlassen uns auf die Bequemlichkeit des Gelernten, selbst wenn es modisch falsch ist.

Wie sehr ich selbst die Kontrolle verloren hatte, merkte ich erst, als meine glitzernden Slingpumps an der Ferse rissen. Ohne Schlinge waren sie nur noch Pumps mit ausgefransten Lederriemen. Mich auf sie zu verlassen, hätte nun einen umgeknickten Knöchel bedeutet. Ich suchte Hilfe beim Schuster, aber der machte es nur schlimmer: Die neuen Fersenriemen waren zu eng und scheuerten.

Ich fühlte mich wie ein Grundschüler, dem gerade verraten wurde, dass „Schuhe“ zwar wie „tue“ klingt, aber nicht so geschrieben wird. Ich verstand die Welt nicht mehr. Zurecht! Der Trampelpfad in meinem Kopf führte nicht mehr zu den Slingpumps. Er verlor sich in einem Wald voller neuer, aber eben ungelernter Optionen.

Doch in Anbetracht eines smaragdgrünen Puffärmelkleids, eines Jeansrocks und Wollstrumpfhosen, die allesamt vor der Haustür getragen werden wollten, mussten neue Wege bestritten werden. Immerhin hatte ich die Neurowissenschaften hinter mir, zumindest was das Lernen generell angeht. Also griff ich ins Regal – ein bisschen unsicher, widerwillig, aber vor allem schwerfällig: Vielleicht tun’s ja doch die gelben Satin-Sandaletten.

[Berlin, Winter 2022/23]

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