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Mein Problem mit gut sitzenden Lederröcken

Blog

[24. März 2023]

Bequemlichkeit ist tückisch. Sie verhindert, dass etwas vorangeht, dass sich etwas weiterentwickelt, dass sich überhaupt irgendetwas tut. Und dabei kommt sie so unverschämt angenehm daher wie ein Paar farbenfrohe Zakopianki. Doch anders als die mit Lammfell gefütterten Hauspantoffeln aus Polen, erfüllt Bequemlichkeit keinen Zweck. Sie wärmt nicht an kalten Wintertagen, im Gegenteil: Sie frisst Energie, ohne neue zu generieren.

Und dabei muss Bequemlichkeit nicht immer gemütlich sein. Ich ertappte mich nach der Hälfte des Winters beispielsweise dabei, wie ich immer wieder zum gleichen taillenhohen Bleistiftlederrock von Escada aus den 80ern griff, zum gleichen dunkelblauen Schurwoll-Blazer – einfach weil ich wusste, dass diese Teile funktionieren würden, egal wie kalt es war. Und im Februar hatte ich dann das Gefühl, nichts anderes mehr im Schrank zu haben. Eine Art Kleidungsstück-Demenz setzte ein und jede Outfit-Planung begann in meinem Kopf mit diesen beiden Teilen; ein stilloser Teufelskreis. Ich war bequem geworden.

Motivation für neue winterliche Kombinationen ließ sich nur noch schwer finden. Zum einen, weil Escada in den 80ern eben wirklich gute Röcke gemacht hat – wer würde schon was anderes anziehen wollen? Und zum anderen, weil mein eigenes Unverständnis über eben solche gedankenlosen Outfits den letzten Treibstoff für Kreativität aufsaugte – in Form von Ärger, gefolgt von Gleichgültigkeit: Der Winter war ja eh bald vorbei.

Die anderen Teile in meinem Kleiderschrank kamen mir mittlerweile fast fremd vor. Wer war noch mal die Person, die zum magentafarbenen Seiden-Slipdress die übergroßen Ansteckblumen wählte? Die Spitzen-BHs unter Hawaiihemden hat hervorblitzen lassen? Die in goldenen Sandaletten auch noch zum Leoparden-Print griff? Im Spiegel erkannte ich sie nur noch verschwommen. Ich war bequem geworden!

An dieser Stelle hätte ich panisch in blinden Mode-Aktionismus verfallen können. Ähnlich wie beim Frühjahrsputz, bei dem ich jedes Jahr das dringende Bedürfnis habe, mich von mindestens der Hälfte meiner Garderobe zu trennen – was ich dann glücklicherweise doch nicht tue, wofür ich wiederum spätestens im Herbst dankbar bin. Radikalität ist eben in den seltensten Fällen eine nachhaltige Lösung. Also entschied ich mich auch dagegen, den Escada-Rock samt blauem Blazer zu verbannen.

Ich fragte mich stattdessen, wie ich den Rest meines Kleiderschranks die vergangenen Monate so ignorieren konnte. An welchem Punkt genau hatte sich die Bequemlichkeit eingestellt? Warum musste mein Glas fürs textile Spielen erst hab leer sein, um wieder halb voll sein zu können? Hatte ich nur einen Styling-Winterschlaf gebraucht? Oder sind die lichtraren Monate nichts anderes als die modische Off-Season?

Auch so eine Tücke: Rechtfertigungen. Bequemlichkeit ist ein Genie darin, Begründungen und Entschuldigungen für sich selbst zu finden. Also ließ ich erst gar nicht zu, dass Trends, das Wetter oder der Pinterest-Algorithmus dafür hätten verantwortlich gewesen sein können, dass ich bordeauxfarbenes Leder und dunkelblaue Schurwolle immer wieder aufs Neue gewählt hatte. Stattdessen nahm ich mir vor, nächsten Winter nicht bequem zu werden. Damit mehr Energie bleibt für neue Outfits, die mich ganz bestimmt ebenfalls nicht frieren lassen werden. Vielleicht mache ich Zakopianki ja straßentauglich.

[Berlin, Winter 2022/23]

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