Die richtigen Worte zu finden, ist nicht immer leicht. Doch auf einer kleinen Bühne in Berlin-Mitte kommt es am Mittwochabend genau darauf an. Eine gut gereimte Zeile sitzt hier wie eine linker Haken – und führt zum Sieg, meistens.
In einer Stadt, in der seelenloser Elektro durch die Clubwände dröhnt und die Tanzgemeinde nur noch epileptisch zu vereinzeltem Pfeifen und Quietschen zuckt, ist der Berliner Hip-Hopper eher einsam. Nach dem Sterben der großen Labels wie Optik Records oder Aggro Berlin wurde er zum Eigenbrötler. Doch Jonni Kalmanovich half ihm aus seiner Lage: Zwei Mal im Monat gibt er dem Hauptstadt-Rap eine Bühne. Der Abend steht dann ganz im Zeichen des Hip-Hops: Für die Großen genauso wie für die noch Aufstrebenden – oder für die, die ihm einfach gerne zuhören, dem Rap. Als „realste Cypher Deutschlands“ gibt das Open-Mic-Event dem Berliner Hip-Hop wieder ein Zuhause.
Es ist Mittwoch. Die Berliner Hip-Hop-Gesellschaft pilgert wie gewöhnlich in den kleinen Hinterhof mit dem noch kleineren Treppenaufgang zu den nicht viel größeren Räumlichkeiten in der Nähe des Nordbahnhofs. Eine Hand voll Mittvierziger fiebert bereits vor den verschlossenen Türen des Untergeschosses ihrem mittwöchlichen Live-Jazz-Abend entgegen. Man kennt sich. Ein leichtes Nicken und die überschaubare Hip-Hop-Meute zieht an den Wartenden vorbei, um sich im Aufgang zwischen Geländer und bröseliger Steinwand eine Etage höher zu schieben.
Und wo unten noch formschöne Herren-Jackets und penible Hochsteckfrisuren das Bild kreierten, liegen oben, dank Baggys, Bandanas und ein paar anderen amerikanischen Hip-Hop-Klischees, Gelassenheit, Coolness und eine große Portion Grasgeruch in der Luft. Die Begrüßungsphase beginnt: „Hey man, was geht?“ „Alles klar bei dir?“ Fernab von den pubertierenden Möchtegern-Gangstern mit neuer Bushido-Single im Ohr, unterhalten sich hier 30-jährige Männer über die Familie, ihren Job und wirklich gute Musik. Hände werden geschüttelt, Umarmungen gegeben – jeder ist ein „Bruder“; zwischendurch ein kurzer Griff unter den Hintern, um die Hose in regelmäßigen Abständen unwesentlich höher zu ziehen.
Unter den Biertrinkenden, Rauchenden und gemütlich Sitzenden scheint einer im aktiven Krosslauf-Modus zu sein: Ohne Flasche in der Hand und nichts Qualmendes im Mund läuft Jonni die Stationen der wichtigsten Gäste des Abends ab, um jedem persönlich für sein Kommen zu danken. Er weiß, dass das zu den Aufgaben eines guten Veranstalters gehört. Und dass er damit richtig liegt, bestätigen ihm die Besucherzahlen. Seit fast zwei Jahren ist Rap Am Mittwoch Bestandteil der Berliner Musikszene – und während zu Beginn nur ein paar seiner Freunde klatschend vor der Bühne standen, treffen sich nun Einkäufer, Musikjournalisten und Rap-Größen alle zwei Wochen in diesem kleinen Club auf dem Hinterhof. Hallen kann Jonni noch immer nicht füllen, aber er arbeitet dran.
So ziemlich genau um 21 Uhr ergreift er dann das Mikrofon und leitet den Abend ein: „Welche hübsche Frau bringt die Jungs draußen vom Balkon hier rein, damit wir anfangen können?“ Das Mädchen mit den dunklen Locken und der Wollmütze bekommt für diesen Gefallen eine Freikarte – angehalten, in zwei Wochen wieder herzukommen. Und nachdem sich alle vollzählig vor der Bühne versammelt haben, stellt sich die Rap Am Mittwoch-Crew für alle Neulinge noch mal vor, die MCs werden aus dem Publikum gefischt und die Regeln erklärt: Vorrunde, Halbfinale, Finale, Kingfinale – vier Disziplinen: Freestyle, Text, Battle und a capella. Dabei treten jeweils zwei Rapper auf die Bühne, um sich im textlichen Schlagabtausch zu beweisen.
Doch bevor verbal um den Königstitel gekämpft wird, stellen noch ein paar Rap-Pazifisten ihr Können unter Beweis. Eine kleine Aufwärmrunde – für das Publikum und die Künstler: Senso, Gigoflow, JRK und Costa Crime machen den Anfang. Schnelle Flows und die ein oder andere gute Punchline trifft sofort den Nerv der Zuhörer. Doch als die schwarzhaarige Xixi das Wort übernimmt, sind alle sichtbar gespannt. Diskriminierende Frauenvergleiche gehören in diesem Wortsport zu den beliebtesten Metaphern. Und weil das auch Xixi weiß, macht die Baggy-Trägerin gleich zu Beginn ihrer Reime deutlich, wie sie mit den Testosteron-geladenen Macho-Sprüchen umgeht: „Nichts als ein Bastard, wer diese Frau nicht ehrt – wäre ich ein Kerl, hätt’ ich ein Schwanz wie ein Pferd.“ Und nachdem sie sich in weiteren 14 Zeilen über die weibliche Minderheit im Hip-Hop-Geschäft ausgelassen hat, stellt sie klar: „Ich bin nicht nur hübsch, mein Kopf ist voller Ideen. Willste mich dissen, dann kriegste den [Mittelfinger]!“ Ein anerkennendes Nicken eint die Masse, als Xixi von der Bühne geht.
Bei Rap Am Mittwoch bekommt eben jeder, was er verdient: lautstarken Beifall und wippende Hände für herausragende Texten, eine Surfer-Begrüßung bei Unschlüssigkeit – oder den Mittelfinger. „Leute, denkt daran: Respekt, aber Ehrlichkeit“, formuliert es Jonni für die Unwissenden.
Als nächster Künstler tritt Jolez Bo ans Mikrofon. Eigentlich übernimmt er die Rolle des Notars bei dieser Veranstaltung: Er sorgt dafür, dass die auftretenden Artisten ihre Einwilligung für die Veröffentlichung auf RapAmMittwoch.tv geben. Doch heute Abend scheint ihn selbst die Rap-Wut überkommen zu haben: Seine bassige Stimme formuliert französische Zeilen, während von seiner dunkelhäutigen Glatze der Schweiß rinnt. Auch hier bleiben die Arme oben, viel zu gut ist sein Flow und die Show, die er obendrein dazu bietet. Und weil die Sprache der Liebe nicht unbedingt die einzige fremde heute Abend sein soll, greift auch Sage zum Mikrofon und unterstützt Jolez Bo mit ein paar polnischen Zeilen. Jonni ergreift die Chance, um ebenfalls noch etwas beizusteuern. Denn als Ben Salomo machte er sich bereits zum Ende der 90er-Jahre in der Berliner Hip-Hop-Szene einen Namen. Die 2000er brachten ihm dann ein Album sowie einige Auszeichnungen im Freestyle- und Battle-Rap. Seither ist es musikalisch eher ruhig um ihn geworden – aber wenn er an einem Mittwoch Abend auf der Bühne steht, ist er noch immer genauso hungrig auf gute Beats und sauber ausgeführte Reime wie vor 12 Jahren.
Zum Abschluss dieses multikulturellen Auftaktes bringen Jolez Bo, Sage und Jonni die von Sido einst kreierten Rap Am Mittwoch-Zeilen: „Rap am Mittwoch, kommt alle mit, doch wenn ihr nichts mit Hip-Hop am Hut habt müsst ihr geh’n!“ – und das Publikum stimmt ein, gespannt auf das heutige Wortgefecht.
Die willigen Kämpfer des Abends finden sich schnell zusammen. Insgesamt sind es acht, die sich durch eine eindeutige Vorrunde und ein spannendes Halbfinale rappen – immer das Ziel vor Augen: den letzten Rap Am Mittwoch-König im Kingfinale zu schlagen. Doch vorher muss das Publikum entscheiden, wer gegen FatCap, den Gewinner des letzten Kingfinales, antritt. So stehen TightAmMic und P-Zak im Finale um die Evaluation. Beide bekannte Gesichter, beide gute MCs. Doch während P-Zak heute Abend auf ein übergroßes Ego setzt, konzentriert sich TightAmMic auf ausgefeilte Punchlines.
A capella hat nun jeder von ihnen drei Mal die Chance, den anderen mit allen verbalen Faustschlägen zu treffen, zu denen er die Fähigkeit besitzt. P-Zak bleibt im arroganten Gangster-Flow: „Und glaub mir: Du lässt jeden in deinen schäbigen Dickdarm seinen schäbigen Dick damm’n. Junge, nebenbei: Mein Schwanz ist wie ein Schokokuss: Einfach dick, man.“ Von soviel Selbstverliebtheit hält die Rap-Fangemeinde heute nichts, P-Zak erntet nur zurückhaltendes Klatschen. Dafür ergreift TightAmMic die Chance, um noch ein bisschen Salz in die soeben freigelegte Wunde seines Gegenübers zu streuen: „Und egal, was du bringst – ob du jetzt rappst oder morgen schon singst, ich bin einfach mal der Typ, der die Welt fickt. Ich bin sein Back-Up, weil er mir dafür Geld gibt. Sonst würde ich das gar nicht tun für den Schwanz, wär ich auf einem Kilo Kokain, wär ich nur halb so arrogant.“ – das Resultat: Befürwortung und lautstarker Beifall.
Und nachdem TightAmMic P-Zak in einem Reim korrigiert, da der etwas hochmütige Rapper für eine gute Punchline aus Joseph Ratzinger kurzerhand Ratzigger macht, sind sich so ziemlich alle Anwesenden einig, wer heute Abend die Möglichkeit auf ein Kingfinale bekommt. Die Handzeichen entscheiden: TightAmMic rappt nun gegen FatCap um 400€ Preisgeld. Doch der amtierende König scheint nichts gelernt zu haben und setzt ebenfalls auf Überheblichkeit. Und obwohl seine Zeilen tatsächlich ganz gut sind, stehen die Anwesenden geschlossen hinter TightAmMic, der sich noch kurz die Brille gerade rückt, bevor er die acht orangenen Scheine euphorisch in die Kamera hält. Ein letztes Mal werden an diesem Abend die Rap Am Mittwoch-Zeilen angestimmt. Alle Arme sind oben; für Rap Am Mittwoch, TightAmMic – und für Deutsch-Rap.
Nachdem der letzte Schluck, Zug und Handschlag getätigt wurde, drängt sich die Gemeinde wieder durch den engen Flur auf den kleinen Hinterhof. Ein paar der Jazz-Liebhaber stehen draußen und rauchen. Wieder ein Nicken. Auf der Straße angekommen, trennen sich die „Brüder“ und spätestens seit Xixi auch „Schwestern“ des Abends. Sie fahren nach Hause, zu ihren Frauen, Kindern, oder direkt ins Büro. Der Berliner Hip-Hopper ist wieder einsam – bis es das nächste Mal heißt: „Rap am Mittwoch, kommt alle mit, doch wenn ihr nichts mit Hip-Hop am Hut habt, müsst ihr geh’n!“